01.04.2021


Es war ein harter Aufschlag mit Ankündigung, der letztlich vor allen Dingen nur noch in der 

Wucht überraschend war. Knapp 92 Prozent der eingegangenen Stimmen sprachen sich für eine Abschaffung der Pflegeberufekammer in Schleswig-Holstein aus. 

So tragisch diese Abstimmung für die Situation der Pflegeberufe in der Bundesrepublik Deutschland auf den ersten Blick scheint, so sehr spiegelt sich darin die verkehrte Denke der Politik im Umgang mit Pflegeberufen wider und gerade darin liegt vielleicht auch die Chance, die jetzt ergriffen werden muss.


Es ist gerade für die Politik unabdingbar wichtig, dieses Abstimmungsergebnis zu analysieren und daraus die richtigen Konsequenzen zu ziehen.


Der Pflegeberuf hat eine jahrzehntelange Abwertung und Geringschätzung der Politik erfahren. In keinem anderen Beruf wird illegale Arbeit andauernd geduldet, sogar befördert. In keinem anderen Beruf sind Lohnentwicklungen trotz der inzwischen schon massenhaft einsetzenden 

Berufsflucht und des riesigen Bedarfes so minimal. In keinem anderen Beruf wurde die 

Entscheidungshoheit so in die Hände von Laien, sorgenden Angehörigen und Betriebswirten gelegt und die Fremdbestimmung in vielerlei Hinsicht so zementiert. In keinem anderen Beruf 

sprechen die Zahlen für die Zukunft eine so eindeutige Sprache, wie sie es in den Pflegeberufen tun, und trotzdem wartet die Politik darauf, dass die Pflege sich selbst am Schopf aus dem Morast zieht.


Das erinnert ein bisschen an den zu Tode gerittenen Gaul, vor dem nun alle stehen und mit diversen Wiederbelebungsversuchen erhoffen, den Gaul noch ein paar Meter weiter zu treten. 

Man möchte die Frage stellen mit welcher Kraft? Mit welchem Know-how? Mit welchem 

Verständnis für politische Zusammenhänge?


Sicher sollte man davon ausgehen, dass Berufsangehörige wissen, dass es eine unabhängige Vertretung braucht, um im Konzert der Selbstverwaltung mitspielen zu können. 

Man kann aber konstatieren, dass dieses Wissen in den Pflegeberufen offensichtlich nicht (mehr) vorhanden ist. 

„Ehrenpflegas“ ist keine Erfindung der Familienministerin Giffey, „Ehrenpflegas“ ist vielleicht schon viel zu lange der größte Zufluss, über den der Beruf sich speist. 

Dass die Ministerin Giffey das Kind nun beim Namen nennt, mag schockieren, es sollte aber für alle ein Weckruf sein.


So können wir nicht weitermachen!


Einige behaupten auch es war eine Wutabstimmung, die die Pflegepolitik der letzten Jahrzehnte verurteilt hat. 

Das erscheint plausibel, wenn auch sehr kursichtig. Aber warum sollten Pflegeberufe Weitsicht zeigen, wenn der Politik seit Jahrzehnten der Weitblick fehlt oder – noch 

schlimmer – bereits belegte Fakten einfach fortwährend ignoriert werden.


Die Pflegekraft denkt sich vermutlich, warum sie jetzt noch für Funktionäre zahlen soll, wenn sie mit Funktionären bisher durchweg schlechte Erfahrungen gemacht hat. 


Pflege in Bewegung e.V. fordert die Politik jetzt zum Umdenken auf. Wer es ernst meint mit den Pflegeberufen muss jetzt auf gesetzlichem Wege eine echte Aufwertung schaffen. 

Das bedeutet die Einführung eines gesetzlichen Mindesteinstiegsgehaltes von 4.000 Euro für Pflegefachkräfte. 


Wie viele Jahre wollen wir dem unwürdigen Spiel der Tarifpartner von ver.di und Arbeitgebern eigentlich noch zusehen und dabei die pflegerische Versorgung der Bevölkerung auf Jahrzehnte 

riskieren?


Auch der Wille zur wirklichen Selbstbestimmung in diesem Beruf muss nun schnellstens auf die politische Agenda. 

Das bedeutet, dass Pflegende wieder Meister des Pflegeprozesses und der  Pflegemaßnahmen werden. 

Dass sie sich nicht in einem ständigen Rechtfertigungsprozess mit Kostenträgern, sorgenden Angehörigen und Betriebswirten ermüden und verbrennen, wenn die Kraft schon kaum zur Gestaltung der elementarsten pflegerischen Erfordernisse reicht.


Für die verbliebene Pflegekammer in Rheinland-Pfalz hoffen wir das Beste, doch auch hier sollte man auf der Hut sein. Denn schon längst beginnen die Kolonnen von ver.di damit, auch hier das Fundament zu minieren, und auch in Nordrhein-Westfalen wird man sich auf massive Gegenwehr von dieser Seite einstellen können.


Warum ver.di ein so massives Interesse daran hat Pflegeberufe zu schwächen, ist nicht einsehbar und kann nur mit der Angst vor der eigenen Bedeutungslosigkeit, die für den pflegerischen Bereich schon längst deutlich ist, begründet werden.


Auf der Hut sein bedeutet aber auch die ehrliche Auseinandersetzung mit der eigenen 

politischen Arbeit. Man wird sich die Frage gefallen lassen müssen, wie man es besser schaffen kann, die Menschen im Beruf von der Idee einer Pflegekammer zu begeistern und damit auch, mit welchen Schritten man als erstes an die Arbeit geht. Mit welchem Antlitz man sich in der Öffentlichkeit präsentiert und wie man den Eindruck vermeidet, dass hier nur Funktionäre auf 

ein Auskommen hoffen. 


Themen, die die Pflegenden beschäftigen, sind im Moment tatsächlich Entlastung und 

Entlohnung. 

Und dieses sind eigentlich auch die Themen, die man zuerst lösen muss, bevor man aus der Pflege einen Begeisterungsturm für Kammern erwarten kann und bevor man auf ein Ende der ewigen Abwärtsspirale hoffen kann.


Dass die Lohnentwicklung kein originäres Thema von Pflegekammern ist, ist an dieser Stelle zweitrangig. 

Es wäre von Vorteil, zumindest auf das  Versagen von Politik und Tarifpartner in diesem Zusammenhang fortwährend und stark hinzuweisen und dessen Bedeutung für die pflegerische Versorgung klar darzulegen. 

Man darf gegenüber ver.di genauso angriffslustig werden, wie ver.di es gegenüber der Selbstverwaltung ist. Angriffspunkte gibt es hier genug. Der Kampf findet seitens ver.di nicht immer mit offenem Visier statt.


Beim Thema Entlastung könnten die Kammern einiges bewirken und dieses sollte die verbliebenen und die kommenden Kammern auch zuerst nutzen. Es ist an der Zeit, Kräfte zu bündeln und in der Öffentlichkeit starke Worte zu finden.


Wer Selbstbestimmung will, muss mit dieser leben! Politische Entscheidungen müssen nicht immer in direkter Demokratie entschieden werden. Wohin das führt, haben wir bei den Grünen erlebt. Basisdemokratie ist nicht immer der Weg zum Erfolg. Demokratische und damit politische Entscheidungen schon. 


Es wäre der richtige Weg, diesem unwürdigen Umfragezirkus jetzt ein Ende zu bereiten und die notwendige Selbstverwaltung der Pflege nicht fortwährend in Frage zu stellen, denn ohne diese wird es ganz dunkel werden.


Pflege in Bewegung e.V.

-Der Vorstand-